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Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?
Der Mann war eine Nervensäge. In den billigen Bars, in denen Andy Kaufman zu Beginn seiner Karriere auftrat, terrorisierte er das Publikum mit der Ödnis des Comedy-Rituals aus Gag, Lachen, Gag: Er erzählte, mit imitiertem osteuropäischen Akzent, Belanglosigkeiten, die keine Pointen hatten. Schließlich sagte er: »Tenk you veddy much.« Dass Andy Kaufmans Witz gerade darin bestand, gar nicht lustig zu sein, hat damals kaum jemand verstanden.
Einer von denen, die sich dennoch amüsierten, war der Fernsehproduzent Dick Ebersol. Er arbeitete gerade an einer neuen Show mit dem Titel »Saturday Night Live« und engagierte Kaufman für einen Gastauftritt. Am 11. Oktober 1975 schlurfte Kaufman auf die Bühne des TV-Studios: Er stellte einen Kinderplattenspieler auf, spielte »Mighty Mouse« und tanzte tölpelhaft. Bei jedem Refrain warf er die Arme hoch und tat so, als würde er singen. Drei Minuten später war er berühmt.
Andy Kaufman hat immer abgestritten, ein Komiker zu sein. Auf jeden Fall aber war er einer der bizarrsten und umstrittensten Entertainer, den das amerikanische Showbusiness hervorgebracht hat. 15 Jahre nach Kaufmans Tod hat der Regisseur Milos Forman ("Amadeus«, »Larry Flint") dessen Lebensgeschichte eindrucksvoll verfilmt - oder genauer: Er macht schon zu Beginn klar, dass auch diese Lebensgeschichte eine Fiktion ist.
Jim Carrey, der zu Recht teuerste Komiker Hollywoods, spielt die Hauptrolle, und in einem überdrehten Prolog verrät Carrey alias Kaufman mit aufgerissenen Augen, hoher Stimme und dem seltsamen osteuropäischen Akzent, dass er aus dem Film herausgeschnitten habe, was ihm nicht gefallen habe: also alles, denn es folgt der Abspann. Typisch Kaufman: der skurrile Spaß eines großen Spielverderbers.
»Der Mondmann«, der jetzt im Kino anläuft, heißt im Original »Man on the Moon« und ist benannt nach einem Kaufman gewidmeten Song der US-Band R.E.M.; Formans Film ist keine Suche nach dem wahren Ich des Andy Kaufman, sondern eine geschickte Dramatisierung der Biografie, eine Abbildung der Oberfläche. Was die beste Annäherung an einen Irren ist, der sein Ich dauernd gewechselt hat und für den es keinen Unterschied zwischen Witz und Wahrheit gab.
Natürlich ist so einer schon als Kind etwas merkwürdig gewesen. In seiner Heimatstadt Great Neck im Bundesstaat New York führte Andy Kaufman Sketche im Kinderzimmer auf, als Publikum genügte ihm die Tapete. Auf dem College in Boston begann er, Fernsehen und Radio zu studieren, und entdeckte die Transzendentale Meditation, mit deren Hilfe er seine Schüchternheit und seine Angst vor den Zuschauern überwand. Später gab er sogar selber Meditationskurse. Kaufman bekam seine eigene Show beim College-Sender.
Nach dem spektakulären Auftritt bei »Saturday Night Live« wurde Kaufman als jener osteuropäische »Foreign Man« Dauergast in den Comedy-Clubs von Hollywood. Das Publikum liebte die Figur, aber Kaufman distanzierte sich und erfand eine neue Identität: den hässlichen, untalentierten Las-Vegas-Sänger Tony Clifton, der aus Frustration über seine Erfolglosigkeit sein Publikum beschimpft. Bis zuletzt behauptete Kaufman allerdings, Tony Clifton sei ein real existierender Mensch und werde nicht von ihm gespielt.
Damals hatte die große Zeit der TV-Sitcoms begonnen. Kaufman hasste diese vor Publikum aufgeführten Witzprogramme, weil der Humor im Skript notiert ist, statt spontan und anarchistisch zu sein. Trotzdem nahm er auf Anraten seines Managers ein Angebot von ABC an, in »Taxi« den osteuropäischen Mechaniker Latka Gravas zu spielen - wurde zum Star und verschaffte Tony Clifton Gastauftritte.
»Der Mondmann« beschreibt eindringlich Kaufmans allmählichen Persönlichkeitszerfall: Wer Kaufman in eine Show einlud, wusste nie, wer auf die Bühne kommen würde: Clifton, Kaufman, Latka Gravas oder ein Brite, der von der ersten bis zur letzten Zeile »Der große Gatsby« vorlas.
Gänzlich befremdet hat er das Publikum mit der Idee, der erste »Intergender Wrestling Champion« zu sein: Er forderte Frauen auf, gegen ihn im Ring anzutreten, und verlor nie. Er inszenierte eine Fehde mit dem Wrestling-Star Jerry Lawler, die Amerika monatelang für real hielt und die in der David-Letterman-Show mit einem Fausthieb auf Kaufmans Nase endete.
Kaufman war dem Entertainmentgeschäft
um Jahre voraus. Heute haben sich viele Komiker ein Alter Ego zugelegt: Ernie Reinhardt als Lilo Wanders zum Beispiel. Oder sie verschmelzen ganz mit ihrer Kunstfigur wie Helge Schneider. Auch wenn Stefan Raab behauptet, einen Maulwurf bei »Big Brother« platziert zu haben, ist das ein Kaufman-typisches Verwirrspiel.
Kaufman selbst hat mal erzählt, wie er als Schüler verspätet in die Klasse stürzte. Es war Winter, und deshalb zog er keuchend und verlegen Schicht für Schicht aus: Regenmantel, Mantel, Jacke, Pullover, Sweatshirt. Mit jedem Kleidungsstück wurden die Lacher mehr. Die Mitschüler lachten nicht über ihn, sie lachten ihn aus. Und vielleicht ist deshalb Andy Kaufmans Comedy nichts anderes als Rache: Er wollte seine Zuschauer nicht zum Lachen bringen; er wollte selbst über sie lachen.
Am 16. Mai 1984 starb Kaufman an Lungenkrebs. Weil er nie geraucht hatte, hielten manche das für seinen besten Witz. MARIANNE WELLERSHOFF